Der tiefe Rückenschmerz: Notwendigkeit von Röntgenaufnahmen

Erkrankt man zum ersten Mal an einem tiefen Rückenschmerz (TSR) (Schmerz ca. handbreit über und unter dem Beckenkamm), so stellt sich auch die Frage, inwieweit die Anfertigung von Röntgenbildern der Lendenwirbelsäule notwendig ist. Als betroffener Patient sollte man bedenken, dass dem Absicherungsbedürfnis des Arztes (bloß nichts übersehen) das Strahlenrisiko des Patienten gegenübersteht. Gerade in Zeiten hoher individueller Strahlenbelastung (z.B. durch längere Flugreisen) sollte man sich darüber im Klaren sein, dass man durch Forderungen an den Arzt wie „Herr Doktor, sollte man nicht mal röntgen“, eventuell den letzten Tropfen zu seiner Strahlenbelastung hinzufügt, der eine Krebserkrankung auslöst. Deshalb sollte auch der Patient darüber informiert sein, wann eine Notwendigkeit zur Durchführung von Röntgenaufnahmen besteht. Aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus, alle Patienten mit einem tiefen Rückenschmerz zu röntgen, ist sinnlos und eher gefährlich! Um ihnen die Entscheidung zu erleichtern, zitiere ich im Folgenden einige Studien zur Frage Röntgen beim tiefen Rückenschmerz.

In der Quebec Studie veröffentlicht in der Zeitschrift Spine 1987:12, wurden folgende Ergebnisse erhalten:

Beim Erstereignis eines tiefen Rückenschmerzes besteht unter den Voraussetzungen (s.unten) weder nach 7 Tagen, noch nach 7 Wochen anhaltendem Rückenschmerz, eine Notwendigkeit zum Röntgen. In einer Studie des Palmer College in Kalifornien, die an 68000 Patienten durchgeführt wurde, bei denen im Rahmen eines TSR Röntgenaufnahmen der LWS gemacht wurden, fand sich nur bei einem von 2500 Patienten ein wichtiger Befund! 2499 Patienten haben sich einer unnötigen Strahlungsbelastung unterzogen. Zu ähnlichen Ergebnissen wie in der Zeitschrift Spine kam eine Studie im Journal of Musculoskeletal  Medicine 1992:17.

Folgende Vorraussetzung für eine Röntgenuntersuchung der Lendenwirbelsäule ist notwendig bei:

  • Alter über 65 Jahre
  • Knochenentkalkung bekannt oder zu vermuten
  • Heftigeste Schmerzen auch in Ruhe oder Nachts
  • Fieber, Schüttelfrost
  • Unbeabsichtigter starker Gewichtsverlust in letzter Zeit
  • Unfall mit Verdacht auf Wirbelfraktur vor Schmerzbeginn
  • Krebserkrankung in der Vorgeschichte
  • Einsetzen von Blasenstörungen mit oder nach Schmerzbeginn (kann den Urin nicht halten oder  nicht ausscheiden)
  • Schmerz nimmt trotz eingeleiteter Behandlung deutlich zu
  • Zunehmende Gefühlsstörungen oder Lähmungen im Bein

Merke: In normalen Röntgenaufnahmen – damit ist nicht die Computertomografie gemeint- lässt sich ein Bandscheibenvorfall nicht erkennen! Selbst ein Krebsbefall der Wirbelsäule ist in 30 % der Fälle ebenfalls nicht zu sehen. Abnutzungen an den Wirbeln sind meist bedeutungslos (Ausnahme z.B. starke Gelenkarthrose oder Lufteinschlüsse in der Bandscheibe). Bemerkungen wie „bei ihren Abnutzungen können Sie froh sein, wenn Sie nicht im Rollstuhl landen“ sind nicht haltbar und unsinnig.  Leider werden solche Bemerkungen, wie mir Patienten wiederholt mitgeteilt haben, von ärztlicher Seite gemacht. Ein ungünstiger Krankheitsverlauf ist danach meist vorprogrammiert.

Dr. med. Uwe Diedrich

Allgemeinarzt und Chirotherapeut mit niedergelassener Praxis in Norderstedt, Schleswig Holstein.

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