Der Bandscheibenvorfall Teil 4: Therapie

Der Bandscheibenvorfall und Therapiemöglichkeiten:

Für die Therapie des Bandscheibenvorfalls gibt es viele Optionen. Welche man einsetzt, hängt hauptsächlich vom Krankheitsbild und vom Patienten ab. Man unterscheidet die nicht operativen ( sogenannte konservative Therapien) von den operativen Therapien. Abgesehen von Sonderfällen werden anfangs konservative Therapien eingesetzt. Diese sollten über einen Zeitraum vom mindestens 12 Wochen durchgeführt werden.

Konservative Therapien

Die in dieser Gruppe am häufigsten eingesetzte Therapieform ist die medikamentöse Therapie. Hier wird die entzündungshemmende  Wirkung der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) – wie Diclofenac oder Ibuprofen – ausgenutzt. Unter der Therapie kommt es zu einer Verminderung der Schmerzen, die aber meist nur gering ausfällt. Besonders beim Bandscheibenvorfall der Halswirbelsäule sind die Schmerzen so stark, dass oft eine Therapie mit Morphinen eingeleitet werden muss. 

Eine völlige Ruhigstellung (Bettruhe) ist nur in den ersten 2 Tagen sinnvoll, danach sollte man im Wechsel liegen und gehen. Sitzen ist in den ersten 2 Wochen möglichst vollständig zu vermeiden.
Der Einsatz von Kälte und Wärme ist ab dem 3. Tag sinnvoll. Dabei sollten die Anwendungen kombiniert eingesetzt werden (10 Minuten Wärme, dann 10 Minuten Kälte). Diese Therapieeinheit wird Morgens und Nachmittags jeweils für 40 Minuten (2 Durchgänge Wärme/Kälte in Folge) eingesetzt.

Auch der Einsatz von elektrischer Nervenstimulation (sogenannte TENS Therapie) ist zur Schmerzverminderung möglich. Dabei wird ein elektrischer Strom über Hautelektroden auf Nerven übertragen. Der genaue Wirkmechanismus dieser Therapie ist noch nicht bekannt.

Flexionsdistraktion

Eine in den USA weit verbreitete Therapie ist die Flexionsdistraktion (FD). In der amerikanischen Chiropraxis ist es die am dritthäufigsten angewandte Methode. Erstmals wurde die FD in den fünfziger Jahren in der osteopathischen Literatur beschrieben.  Basis der Therapie ist eine FD-Liege. Sie ermöglicht es, dass der Rücken des Patienten auseinander gezogen werden kann (Streck- therapie), wobei zusätzlich der Unterkörper (Beine und Becken) im Raum bewegt werden kann. Dadurch wird ein Unterdruck in der behandelten Bandscheibe aufgebaut. Liegt der Normdruck einer Bandscheibe der unteren LWS in Bauchlage bei ca. 30 mm Hg, so kommt man unter Traktion auf Werte von ca. –100 bis  – 150 mm Hg, der Druck sinkt also um 130 bis 180 mm Hg ab.
In Bezug auf die Erfolgsaussichten ist die FD die momentan wirkungsvollste Therapie. Ein maximaler Therapieerfolg (Schmerzfreiheit oder Befinden wie vor dem Auftreten des BSV) wird nach durchschnittlich 12 Behandlungen bzw. 29 Tagen erreicht.  Über 60% der Patienten (von insgesamt 199 Patienten mit einem Bandscheibenvorfall der unteren Lendenwirbelsäule) erreichten in diesem Zeitraum einen guten bis sehr guten Therapieerfolg. Erste Ergebnisse einer Studie zur Frage der Wirksamkeit der FD – Therapie beim chronischen Rückenschmerz, die vom amerikanischen Gesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde (Zeitraum der Studie 1997-2000), sind jetzt veröffentlicht worden. Danach ist die FD beim chronischen Rückenschmerz eine wirksame Therapie. Verglichen mit der erweiterten ambulanten Physiotherapie ist sie die wirksamere Behandlungsform.

Operative Therapien:

Nur in seltenen Fällen ist eine sofortige operative Therapie des Bandscheibenvorfalls nötig. Die drei Wichtigsten sind:

Der Tod der Nervenwurzel ist eine dringender Operationsgrund, wird aber leicht übersehen. Er ist dadurch charakterisiert, dass vorbestehende starke Beinschmerzen plötzlich vollständig verschwinden, dafür aber gleichzeitig vollständige Lähmungen von einzelnen Muskelgruppen des Beins auftreten. Der Patient deutet die Situation fälschlicherweise, da er plötzlich schmerzfrei ist, als dramatische Verbesserung, übersieht dabei aber oft die ausgeprägten Lähmungen.

– Der Fuß fällt beim Gehen runter.

– Der Vorderfuß lässt sich nicht mehr vom Boden abheben.
– Treppensteigen ist nur noch mit dem gesunden Bein voran möglich.

Beim Vorliegen von Sequestern und bei nicht erfolgreicher konservativer Therapie ist eine Operation oft nicht zu umgehen.
Ziel der Operation ist es, den Nerven oder das Band von dem von der BS ausgeübten Druck zu befreien. Der Zugang zur Bandscheibe kann dabei entweder über einen größeren Schnitt erfolgen (ca. 5-7 cm lang) oder wie bei den minimal invasiven Techniken (MIT) nur über einen ganz kleinen Hautschnitt.

Bei der ersten Technik wird nach einem Hautschnitt der Rückenmuskel vom hinteren seitlichen Wirbelkörper frei präpariert.  Danach wird entweder ein kleiner Ausschnitt des Wirbelbogens  (Laminotomie) mit den dazwischen befindlichen Bändern oder ein großer Teil des Wirbelbogens (Laminektomie) entfernt.  Welche von den beiden Techniken gewählt wird, hängt davon ab,  wie  kompliziert die örtlichen Verhältnisse im Bereich des Bandscheibenvorfalls sind. Die Laminektomie bietet einen besseren Überblick und wird in komplizierten Fällen eingesetzt. Von diesem Zugang aus kann dann entweder nur der Bandscheibenvorfall (BSV) oder im Falle einer Protrusion auch der ganze Bandscheibenkern (Diskektomie) entfernt werden. Als Folge verringert sich der Bandscheibeninnendruck und die Vorwölbung geht zurück, analog einem Reifen, aus dem man die Luft ablässt.

Die Diskektomie kann auch über einen kleinen Zugang (Hautschnitt ca. 1 cm) unter mikroskopischer Kontrolle ausgeführt werden. Man nennt das Verfahren die Mikrodiskektomie. Der Nachteil der „groben“ Techniken ist, dass sie zu einer nicht unerheblichen Gewebsverletzung führen, was die Operationsrisiken erhöht. Besonders die gefürchtete postoperative Narbenbildung, wobei der Nerv durch Narbenzüge eingeengt wird und so ähnliche Symptome wie beim präoperativen BSV hervorruft, tritt bei diesen Verfahren häufiger auf. Anderseits zeigen diese Operationen wegen der Übersichtlichkeit gute Ergebnisse. Nervenverletzungen durch den Eingriff und unvollständige Entfernungen des BSV kommen nur selten vor.

An der Übersichtlichkeit mangelt es eher bei den minimal invasiven Techniken (MIT), dafür ist hierbei die Gewebsverletzung von Muskeln und Bändern wesentlich geringer. Prinzip der einzelnen Techniken ist es, durch Zerstörung des Bandscheibenkerns den Innendruck der Bandscheibe zu verringern. Man unterscheidet folgende Techniken:

Chemonukleotomie: Hierbei wird ein Enzymgemisch in den Bandscheibenkern injiziert, das den Bandscheibenkern zerstört.

Endoskopische Operationsmethoden: Über einen kleinen Stichkanal wird das Endoskop an die Bandscheibe herangeführt. Die Diskektomie erfolgt dann über das Endoskop.

Hochfrequenz-Koagulation: Hierbei wird ein elektrisch leitender Draht in den Bandscheibenkern eingeführt, der durch Stromfluss erhitzt wird. Der Bandscheibenkern wird verkocht.

Laserdiskektomie: Hierbei wird der Bandscheibenkern über eine eingeführte Laserquelle durch Laserenergie  zerstört.
 

Die minimal invasiven Techniken eignen sich nicht zur Behandlung von Cauda – Syndrom,  Sequester und großem Bandscheibenvorfall.

Die künstliche Bandscheibe

Als ganz anderer Behandlungsansatz kann die künstliche Bandscheibe angesehen werden. Während die Diskektomie zwar meist zu einem Rückgang der Beschwerden führt, aber das auf Kosten einer gestörten Mechanik, ähnlich einem Auto mit defekten Stoßdämpfer, das dadurch repariert wird, dass man den Stoßdämpfer durch Anschweißen von Stahlstreben ausschaltet, was später zu erheblichen Gebrauchsproblemen führen kann, bietet die Kunstbandscheibe nach Implantation eine gute mechanische Funktion. Moderne Kunstbandscheiben haben eine Sandwichform. Sie bestehen aus 2 Metallplatten zwischen die eine Kugel aus Polyethylen eingelagert ist. Bisher sind weltweit ca. 7000 Kunstbandscheiben implantiert worden.

Risiken, wie das Verrutschen des Kerns oder das Einbrechen des Kerns in den Wirbelkörper, sind bei den neueren Modellen wohl behoben. Schwerere Komplikationen (brennende Schmerzen, Gefühlsstörungen. Lähmungen) treten in den ersten 2 Jahren bei ca. 16% der Behandelten auf. Neuere Entwicklungen werden diese Probleme wohl in den Griff bekommen. Über die Haltbarkeit der modernen Kunstbandscheibe lässt sich momentan noch nichts sagen. Kunstbandscheiben können nur dann implantiert werden, wenn die zu ersetzende Bandscheibe eine ausreichende Höhe hat. Bandscheiben, deren Kern operativ zerstört worden ist, haben diese Höhe nicht mehr. Sie kommen dann für die Kunstbandscheibenimplantation nicht in Frage. Die Entscheidung für eine Diskektomie, beinhaltet also auch eine Entscheidung gegen einen späteren Bandscheibenersatz. Diesen Umstand sollte man bei der Auswahl der Therapie unbedingt berücksichtigen.

Die Periradikuläre Infiltrationstherapie

Eine weitere Möglichkeit zur Therapie des Bandscheibenvorfalls stellt die periradikuläre Infiltrationstherapie (PRT) dar. Hierbei wird unter computertomographischer Kontrolle eine Kanüle bis an die Nervenwurzel vorgeschoben. Dort wird anschließend eine Cortisonlösung infiltriert, die das entzündete Gewebe abschwellen lässt. Die Erfolgsaussichten werden je nach Studie unterschiedlich bewertet. Sie sind meiner Erfahrung nach, vorausgesetzt der Bandscheibenvorfall drückt nicht mehr auf den Nerven,  als befriedigend anzusehen. Da die Therapierisiken nicht unerheblich sind, sollte diese Methode erst nach dem Scheitern der konservativen Therapien eingesetzt werden.

Was passiert mit der Bandscheibe nach einem Bandscheibenvorfall?

Wenn der Druck in der Bandscheibe (BS) möglichst niedrig gehalten wird – Voraussetzung ergonomisches Verhalten des Patienten-, verheilt der Riss im Ring der BS in ca. 3 Monate. Eine einmal geschädigte Bandscheibe ist aber zukünftig leichter verletzbar. Die Ergonomie muss weiterhin beachtet werden. Viele Bandscheibenvorfälle werden mit der Zeit durch Wasserverlust kleiner. 60% der Vorfälle werden innerhalb von 6 Monaten um 30% kleiner und 30% verkleinern sich um 60%. Achten Sie darauf, dass die Nährstoffversorgung der Bandscheibe nur über die Diffusion erfolgt. Seien Sie darum bemüht ihren Rücken immer in Bewegung zu halten. Nur dadurch werden die schnell wechselnden Drücke in der Bandscheibe aufgebaut, die für die Nährstoffzufuhr erforderlich sind. Steifes Sitzen ist unbedingt zu vermeiden. Achten Sie auf die Sitzmöbel. Die Sitzflächen sollten ausreichend hoch (ca. 43 cm), fest gepolstert und eben sein. Haben Sie eine sitzende Tätigkeit, besorgen Sie sich einen guten Bürostuhl. Stärken Sie ihren Rücken durch Muskelaufbau, z.B. durch Therabandtraining, und durch Koordinationstraining, z.B. auf einer Balancescheibe. Versuchen Sie Stress abzubauen. Stress führt zur Muskelanspannung und damit zum Anstieg des Bandscheibeninnendrucks.

Dr. med. Uwe Diedrich

Allgemeinarzt und Chirotherapeut mit niedergelassener Praxis in Norderstedt, Schleswig Holstein.

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